Zwar kann es an den touristischen Hotspots der Schweiz zu zeitlich und lokal begrenzten Engpässen kommen, von Ausmassen wie in anderen Ländern ist man aber weit entfernt. Als nationale Tourismusmarketingorganisation beschäftigt sich Schweiz Tourismus (ST) deshalb seit Längerem intensiv mit Lösungsansätzen, um Gästekonzentrationen zu verhindern. Einer davon: die Förderung des Ganzjahrestourismus – gleichzeitig ein Teil der Nachhaltigkeitsstrategie Swisstainable. «Wenn wir ein Drehkreuz aufstellen müssen, um die Besucherströme zu regulieren, ist es bereits zu spät», sagt Martin Nydegger, Direktor ST.

Trend Saisonverlängerung

Am Swiss Travel Mart 2023 in Genf zeigte sich, dass der Ganzjahrestourismus bei den internationalen Reiseveranstaltern ganz weit oben auf der Liste steht. Peter Strub vom deutschen Reiseveranstalter Studiosus dazu: «Die Saisonverlängerung gehört momentan zu den spannendsten Tourismustrends. Es gäbe viel Potenzial, wenn man die Monate Mai und September zur Saisonverlängerung nutzen würde.»

Insbesondere der Herbst bietet dazu Hand. Denn verglichen mit dem globalen Mittel erwärmt sich die Atmosphäre im Alpenraum fast doppelt so stark. Dadurch reichen sommerliche Bedingungen in Zukunft voraussichtlich bis weit in den Herbst hinein. Kommt dazu: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Beginn von winterlichen Wetterverhältnissen um durchschnittlich zwölf Tage vom Oktober in den November verschoben, die Herbstsaison wird also deutlich länger.

Im Herbst steckt viel Potenzial

ST baut den Schweizer Herbst seit einigen Jahren zu einer strategisch wichtigen, eigenständigen Tourismussaison aus. Gemäss Beherbergungsstatistik des Bundesamts für Statistik wurden im September und Oktober 2019 rund 6,8 Millionen Hotellogiernächte verzeichnet. Schon 2022 gab es mit 7 Millionen Hotellogiernächten einen leichten Anstieg, obwohl die WHO die Pandemie in ihrer bisherigen Form offiziell erst im Februar 2023 für beendet erklärte.
Zum positiven Ergebnis trugen mit einem Plus von 23,3 % vor allem die einheimischen Gäste bei. Aber auch die Nahmärkte erholten sich gut und lagen nur noch knapp 5 % unter Vorpandemieniveau.

Das sind die Herbstkampagnen der vergangenen Jahre:

Angesichts dieser Erkenntnisse und Potenziale lancierte ST 2023 mit «Senses» erstmals eine Herbstkampagne, die sich nicht nur auf den Heimmarkt beschränkte, sondern auch in den wichtigsten europäischen Herkunftsmärkten spielte. Dazu gehören Deutschland, Italien, Frankreich, Vereinigtes Königreich und Benelux. Die Kampagne lud die Gäste ein, die Schweiz mit allen Sinnen zu erleben: sehen, hören, riechen, schmecken, tasten. So liess sich der Schweizer Herbst beispielsweise an einem der unzähligen Herbstfestivals mit Käse, Kastanien und Kürbis oder beim Waldbaden erriechen und erschmecken. Seine ganz eigenen Klänge offenbarte er bei den Alpabzügen oder auf einer Wanderung entlang eines rauschenden Bergbachs. Ertasten konnten ihn die Gäste auf Kneipp- und Barfusswegen, während die Augen fasziniert Wildtiere beobachteten und sich von den Wäldern mit ihrer Farbenpracht beeindrucken liessen.

Die ST-Strategie mit der Senses-Kampagne ging auf: Die Hotellogiernächte 2023 stiegen im Herbst um 5,3 % auf knapp 7,4 Millionen an, im Vergleich zu 2022. Dies wiederum dank den einheimischen und den europäischen Gästen: Alle in der Kampagne berücksichtigten Märkte (mit Ausnahme von Italien) verzeichneten im September und Oktober 2023 ein Plus zwischen 0,9 % (Benelux) und 23,5 % (Vereinigtes Königreich). Der blinde schottische Comedian Jamie MacDonald und seine Kollegin Julia Sutherland als Protagonisten des Herbst-Spots schienen mit ihrem britischen Humor den Nerv der potenziellen Gäste getroffen zu haben. Zum guten Gesamtergebnis trug aber sicher auch das schöne und beständige Herbstwetter bei, das viele Menschen in die Berge lockte, aber auch zu einem Besuch der Schweizer Städte motivierte.

Es braucht alle

Damit der Ganzjahrestourismus zum Erfolg wird, sind alle involvierten Stellen gefordert. Um funktionierende Gästelenkungsmassnahmen zu garantieren, sorgt ST dafür, dass die Touristinnen und Touristen zur richtigen Jahreszeit an die passenden Orte reisen. Gäste aus Indien sind zum Beispiel vorwiegend im Mai und Juni unterwegs, Gäste aus Brasilien im Januar und Februar, solche aus Südostasien eher im Herbst.

Die zweite Kampagne, die für Ferien im Schweizer Herbst inspirierte, war «The Perfect Shot». Die im September 2023 gedrehte YouTube-Serie mit den vier Content Creators aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Indien und Kanada führte das Publikum an Orte wie Zürich, Herisau, Meiringen, ins Engadin, in die Regionen Locarno, Zermatt, Lausanne, Montreux Riviera sowie auf den Titlis. Damit lenkte ST die Aufmerksamkeit der YouTube-Community – und somit der künftigen Gäste – auf die Nebensaison und auf weniger bekannte Destinationen.

Damit die geografische und saisonale Diversifizierung gelingt, müssen die touristischen Regionen ein attraktives touristisches Angebot schaffen. Denn laut der Studie «Die Herbstsaison im Schweizer Tourismus» von EBP Schweiz sei die Nachfrage zwar steigend, doch viele Leistungserbringer – insbesondere aus den Berggebieten – würden die Herbstsaison nach den Schulferien im Oktober beenden. Konkrete Zahlen verdeutlichen das Problem eindrücklich: Die Nettobettenkapazität von September bis November ist in fast allen Berggebietsdestinationen zwischen 50 bis 100 % tiefer als im Sommer. Im November gibt es in der Hälfte der Destinationen gerade mal noch 25 % des Sommerangebots.

«Der Ganzjahrestourismus bietet eine riesige Chance. Die Gäste profitieren von weniger Reisenden und meist günstigeren Preisen. Die Destinationen und Betriebe können ihre Infrastruktur länger auslasten. Zudem ist es möglich, Mitarbeitende das ganze Jahr und nicht mehr nur als Saisonniers zu beschäftigen. Daraus folgen mehr Erfahrung, mehr Loyalität und im Idealfall eine bessere Qualitätsleistung», bringt es Martin Nydegger auf den Punkt.