Derzeit lebt schon fast 60 % der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten, bis 2050 soll dieser Anteil auf 75 % (Quelle: Weltbank) ansteigen. Wegen ihrer Verkehrsanbindung und des durchschnittlich hohen Lebensstandards ihrer Bewohnerinnen und Bewohner bieten viele dieser Regionen ein interessantes Potenzial für den Schweizer Tourismus. Die Präsenz auf den Märkten und der direkte Kontakt mit B2B- und B2C-Kunden werden in einem postpandemischen Umfeld an Bedeutung gewinnen.

Im Jahr 2021 hat der Vorstand von Schweiz Tourismus ST die Eröffnung von sogenannten «Antennen» genehmigt, die in wichtigen städtischen Gebieten angesiedelt sind. Mit diesem Konzept verfolgt ST das Ziel, Kundengruppen, die als besonders interessant für die Entwicklung des Tourismus identifiziert wurden, gezielter anzusprechen und ihr mittel- und langfristiges Potenzial zu testen. Jede Aussenstelle hat eine auf vorerst zwei Jahre begrenzte Betriebsdauer. Nach Ablauf prüft ST, ob die Präsenz vor Ort fortgesetzt werden soll oder nicht.

Kriterien für Eröffnung von Antennen
Die Entscheidung über die Eröffnung einer Aussenstelle wird nach sorgfältiger Prüfung zahlreicher Kriterien getroffen, darunter unter anderem die jährliche Entwicklung der Hotelübernachtungen, die Visastatistik sowie makroökonomische Daten von Oxford Economics zu grossen Metropolregionen weltweit. Hinzu kommt auch eine Schweizer Perspektive auf das Potenzial und die Machbarkeit (Markteintrittsmöglichkeiten, Substituierbarkeit von ST, notwendige Investitionen in die Eröffnung und das Marketing, Interesse der Tourismuspartner in der Schweiz usw.).

Die Aktivitäten der Antennen sind auf den B2B-Bereich fokussiert, das heisst auf die Betreuung von Grosskunden (Reiseveranstalter) und die Medienarbeit. Dabei geht es in erster Linie darum, ein solides Netzwerk lokaler Kontakte (Tourismusakteure, Reiseveranstalter, Medien) aufzubauen. Im Gegensatz zu den Aktivitäten in Märkten, in denen ST über permanente Büros verfügt, sind in den Antennen keine spezifischen Partnerschaften mit Schweizer Tourismusanbietern vorgesehen. 2022 wurden die ersten beiden Antennen von ST eröffnet, in Lissabon (Portugal) und in Manila (Philippinen).

Verstärkte Präsenz auf der Iberischen Halbinsel
Die erste Antenne eröffnete ST schon Im Frühjahr 2022 in Lissabon, Portugal. Zwischen 2009 und 2019 haben die Hotelübernachtungen von portugiesischen Gästen in der Schweiz um fast 30 % zugenommen (ca. 135 000 generierte Übernachtungen im Jahr 2019). Die portugiesischen Gäste zeigen ein starkes Interesse an Aufenthalten in Schweizer Grossstädten (über 56 % der 2019 registrierten Übernachtungen, insbesondere in Genf und Zürich). Zusammen mit der Tatsache, dass diese Klientel eher jung ist (48,5 % der portugiesischen Gäste in der Schweiz sind zwischen 16 und 35 Jahre alt), sind dies klar zwei Trümpfe für den städtischen Freizeittourismus. Weitere Faktoren wie der intensive Austausch zwischen den beiden Ländern – angesichts der grossen lusitanischen Gemeinschaft, die in der Schweiz lebt, und der rund 280 Flugverbindungen wegen des Hubs zu Südamerika, sowie die in jüngster Zeit stetig steigende Zahl von Auslandsreisen der portugiesischen Bevölkerung, haben ST zu der Entscheidung bewogen, in Lissabon präsent zu sein. 2022 stiegen die Übernachtungen portugiesischer Touristen in der Schweiz gegenüber 2021 um 68,4 % (oder nur 3,9 % unter dem Niveau von 2019).

Chancen auf den Philippinen nutzen
Zwischen 2009 und 2019 stiegen die Hotelübernachtungen von Gästen aus den Philippinen in der Schweiz um fast 210 % (ca. 46 000 Übernachtungen im Jahr 2019). Die Hauptstadt Manila beziehungsweise der Grossraum Metro Manila hat derzeit eine geschätzte Bevölkerung von 13 bis 15 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie ist das Wirtschafts- und Finanzzentrum der Philippinen, einem Land, dessen BIP bis 2023 voraussichtlich um mehr als 6 % wachsen wird (Quelle: Asian Development Bank).

Im Herbst 2022 wurde die Antenne in Manila eröffnet, die zu 30 % von Matthew Yabut, einem Mitarbeiter der Schweizer Botschaft in der philippinischen Hauptstadt, geleitet wird. Dieser Ansatz für den philippinischen Markt verschafft ST einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten, von denen noch keine nationale Organisation direkt vor Ort präsent ist. Die Nachfrage nach Europa wächst und wohlhabende Kunden identifizieren die Schweiz als prestigeträchtiges Reiseziel. 2022 stiegen die Übernachtungen philippinischer Gäste in der Schweiz gegenüber 2021 um 508,8 % (oder 9,8 % unter dem Niveau von 2019).

Leslie Bent, ST-Leiterin für den portugiesischen Markt, und Matthew Yabut, ST-Leiter für den philippinischen Markt, geben im Interview weitere Einblicke.

Leslie Bent / Matthew Yabut

Marktleiterin Portugal / Marktleiter Philippinen

Leslie Bent und Matthew Yabut, nun sind beide Antennen seit einigen Monaten in Lissabon und Manila aktiv. Was können Sie uns über das Interesse der portugiesischen respektive philippinischen Reiseveranstalter an der Schweiz sagen? Welche touristischen Erfahrungen sprechen sie am meisten an?

Leslie Bent: Die Schweiz ist für die portugiesischen Gäste noch wenig bekannt und wird häufig ausschliesslich als Winterreiseziel wahrgenommen. Reiseveranstalter waren sehr schnell daran interessiert, mit der Schweiz als aufstrebendem Reiseziel zu arbeiten, insbesondere für Rundreisen, die den Zauber der Alpen im Sommer wie im Winter entdecken, oder für Zugreisen.

Am meisten überraschte mich die Reaktion der Medien. Die Medienschaffenden sahen sofort Möglichkeiten, über ein noch unbekanntes Reiseziel zu berichten, mit touristischen Erfahrungen, die mit aktuellen Anliegen übereinstimmen: nachhaltigeres Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Entdeckung einer unberührten Natur und einer grossen kulturellen Vielfalt. Bekannte portugiesische Content Creator setzten die Schweiz ganz oben auf ihre Listen mit Reisezielen, die sie erkunden wollten, und kontaktierten mich proaktiv, um Inhalte zu produzieren.

Matthew Yabut: Die Mehrheit der Filipinos möchte Dinge erleben, die auf den Philippinen nicht zwingend möglich sind. Beispielsweise alles, was mit Schnee zu tun hat, und da hat die Schweiz natürlich viel zu bieten. Davon konnte ich mich diesen Winter erstmals selbst überzeugen. Ich sehe viel Potenzial für die Filipinos bei Winteraktivitäten wie Wandern, mit und ohne Schneeschuhe, Schlitteln, Langlaufen oder ganz klassisch Skifahren resp. Snowboardfahren.

Grosses Potenzial sehe ich auch im Bereich K-Drama und K-Pop. Die Filipinos verfolgen sehr genau, was ihre Idole tun. Sie würden gerne an die gleichen Orte reisen und die gleichen Dinge erleben wie sie.

Hat sich das Reiseverhalten dieser beiden Gästegruppen nach der Pandemie verändert? Wenn ja, auf welche Weise? Bietet diese Entwicklung Chancen für die Schweiz?

Matthew Yabut: Viele Filipinos haben durch die Pandemie erkannt, wie wertvoll es ist, zu reisen und dabei neue Erfahrungen zu sammeln. Sie sind seither viel bereiter, mehr ins Reisen zu investieren. Die Schweiz ist immer noch ein Traumziel für die meisten von uns. Dank der neu eröffneten Antenne in Manila können wir das Ferien- und Reiseland Schweiz nun viel gezielter und strategischer vermarkten. Dass hier erstklassiger Käse und Schokolade produziert wird, wissen die Filipinos schon. Unsere Aufgabe ist es, die vielen anderen Seiten der Schweiz ins Schaufenster zu stellen. Die Themen K-Drama und K-Pop bieten dafür einen einfachen Einstieg, und ich glaube, dass wir dies nutzen können, um auf die «Reise-Bucket-Liste» möglichst vieler Filipinos zu kommen. Dies in der Hoffnung, dass auch sie sich in die Schweiz verlieben, also #inLovewithSwitzerland sind.

Leslie Bent: Wie in anderen Teilen der Welt hat sich das Reiseverhalten der Portugiesinnen und Portugiesen nach der Pandemie in Bezug auf das Buchungsverhalten verändert. Es wurde zunehmend kurzfristiger und spontaner gebucht. Die Portugiesen zeigten einen bemerkenswerten Enthusiasmus, nach der Pandemie wieder die Welt zu erkunden. Ihre Reiselust liegt über dem europäischen Durchschnitt und rechtfertigt auch höhere Ausgaben, insbesondere für Kurzstrecken.

Diese Verhaltensänderung stellt eine Chance für die Schweiz dar, die als nahegelegenes Reiseziel zu Portugal mit zahlreichen täglichen Flügen zu erschwinglichen Preisen eine spontane Reiseplanung erleichtert.